Trendreport „Zukunft Krankenhaus‑Einkauf 2025“
Kurzstudie auf Basis der Interviews sowie einer Auswertung aktueller Fach‑ und Regulierungsquellen. Stand: 25.08.2025.
Executive Summary
Der Krankenhaus‑Einkauf in Deutschland steht 2025 im Zeichen von vier großen Verschiebungen:
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Systemwechsel in der Versorgung (KHVVG): Leistungsgruppen, Vorhaltevergütung und Strukturumbau verändern Volumina, Bündelungslogiken und Versorgungsnetzwerke.
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Pflicht‑Digitalisierung in Back‑Office‑Prozessen: E‑Rechnung (ab 01.01.2025 Empfang/AKZEPTANZ Pflicht, stufenweise Roll‑out), PEPPOL/Interoperabilität sowie ein klarer Fokus auf Stammdatenqualität (UDI/EUDAMED, GDSN) werden zum Taktgeber.
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Compliance & Resilienz als neue „Muss‑Kriterien“: NIS2‑Sicherheitsanforderungen an Krankenhäuser und Lieferanten, EUDR‑Sorgfalt für Rohstoffe (z. B. Naturkautschuk) sowie CSRD/ESRS‑Datenanforderungen – trotz Verzögerungen – treiben die Integration von Risiko‑, Nachhaltigkeits‑ und Produktdaten in SRM/ERP.
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KI‑gestützte Effizienz & Professionalität: Ausschreibungen, Vertrags‑ und Rechnungsprüfung, Spend‑ und Risikoanalysen werden durch KI‑„Co‑Piloten“ beschleunigt. Einkaufsorganisationen professionalisieren SRM und verschieben Ressourcen von operativ zu strategisch.
Kurzfazit: 2025 ist das Jahr der Hausaufgaben im Einkauf: Prozesse elektronifizieren, Stammdaten und Lieferantentransparenz aufbauen, Sicherheits‑ und Nachhaltigkeitsanforderungen operationalisieren – und parallel die eigene Rolle im Strukturwandel schärfen.
Kontext 2025 – Termine & Weichenstellungen (Auszug)
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17.10.2024: Bundestag beschließt Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG); Umsetzung startet 01.01.2025 (Leistungsgruppen‑Zuweisung bis Ende 2026).
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01.01.2025: E‑Rechnung B2B in DE – Empfang/Accept verpflichtend, normkonforme E‑Rechnung nach EN 16931 (z. B. XRechnung/ZUGFeRD). Übergänge/Detailregeln werden 2025 präzisiert; Versandpflicht stufenweise bis 2028.
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07/2025: NIS2: Kabinettsfassung zum deutschen Umsetzungsgesetz (NIS2UmsuCG) liegt vor; betroffene Einrichtungen/Unternehmen müssen mit erweiterten Sicherheits‑/TPRM‑Pflichten rechnen.
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2025/26: EUDAMED: Phasenweise verpflichtende Module möglich; UDI/Device‑Registrierungen gewinnen an Verbindlichkeit.
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12/2025 (große Unternehmen) / 06/2026 (KMU): EUDR – entwaldungsfreie Lieferketten (u. a. Kautschuk, Holz/Papier); Nachweise & Rückverfolgung gefordert.
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CSRD/ESRS: Teile der Umsetzung/Standardisierung zeitlich verschoben; Datenanforderungen in der Praxis bleiben bestehen.
Top‑10‑Trends 2025 im Krankenhaus‑Einkauf
1) Einkauf richtet Warengruppen auf Leistungsgruppen & Netzwerke aus
Was passiert: Mit Leistungsgruppen/Vorhaltevergütung verschieben sich Leistungs‑ und Finanzierungsströme. Kooperationen/Verbünde werden wichtiger; GPO‑Konsolidierung verstärkt Verhandlungsmacht.
Implikationen:
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Portfolio‑ und Lieferanten‑Mapping gegen Leistungsgruppen.
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Verbund‑ und Kooperationsverträge prüfen/neu zuschneiden.
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KPI‑Shift: vom Einzelpreis zur Versorgungssicherheit & Ergebnisqualität.
Quick‑Check: Haben wir pro Leistungsgruppe klare Sourcing‑Strategien? Sind Eskalations‑ und Substitutionspfade definiert?
2) E‑Rechnung/PEPPOL wird Pflicht – P2P‑End‑to‑End neu denken
Was passiert: Seit 01.01.2025 müssen Unternehmen E‑Rechnungen empfangen und verarbeiten (EN 16931‑konform; z. B. XRechnung/ZUGFeRD; PEPPOL als gängiger Kanal); Ausstellung/Versandpflicht folgen stufenweise.
Implikationen:
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AP‑Automatisierung (Rechnungsprüfung, 3‑Way‑Match) priorisieren.
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Lieferanten auf Formate/Kanäle „onboarden“; Stammdaten (Steuer‑/Bank‑/GLN) bereinigen.
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Einkaufs‑ und Buchhaltungsteams gemeinsam schulen; Durchlaufzeiten/Skonti heben.
Quick‑Check: Anteil „echter“ E‑Rechnungen? Dunkelbuchungsquote? PEPPOL‑Anbindung und EDI‑Abdeckung pro Lieferantensegment?
3) NIS2: Security wird Vergabekriterium – auch für MedTech‑Lieferanten
Was passiert: Krankenhäuser zählen (je nach Größe/Einordnung) zu „wichtigen/besonders wichtigen Einrichtungen“. Technische/organisatorische Security‑Pflichten, Meldeprozesse und Lieferanten‑Risikomanagement (TPRM) werden verbindlicher.
Implikationen:
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Sicherheitsanforderungen/Mindeststandards in Eignungskriterien und SLAs verankern (z. B. Schwachstellen‑/Patch‑Management, Verschlüsselung, ISMS‑Reife, Support‑ und Incident‑Prozesse).
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Kritikalitäts‑ und Drittparteien‑Assessments einführen; Nachweise auditierbar machen.
Quick‑Check: Gibt es ein einkaufsnahes TPRM mit Scorecards? Verankern wir Security‑KPIs in Verträgen/Lieferantengesprächen?
4) EUDAMED/UDI: Produkt‑Stammdaten werden zur Compliance‑Infrastruktur
Was passiert: EUDAMED‑Module (Actors, UDI/Devices, Zertifikate, Marktüberwachung etc.) gehen schrittweise in die Pflicht. UDI‑Schlüssel und Datenqualität werden grundlegend – auch für die Krankenhaus‑Stammdatenpflege.
Implikationen:
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UDI/Basic‑UDI‑DI als Pflichtfelder in PIM/ERP/SRM.
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Automatisierte GDSN‑/M2M‑Anbindungen mit Herstellern/Distributoren aufbauen.
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Qualitätsregeln/ Verantwortlichkeiten („Data Stewardship“) im Einkauf festlegen.
Quick‑Check: UDI‑Felder und Validierungsregeln in Materialstämmen vorhanden? Hersteller‑Anteil mit GDSN/PEPPOL/EDI‑fähiger Datenlieferung?
5) CSRD/ESRS verschoben – Beschaffung treibt Scope‑3 & Produktdaten
Was passiert: Teile der CSRD‑Pflichten sind um zwei Jahre „gestoppt“, aber Kunden, Kostenträger und Öffentlichkeit erwarten weiter produkt‑ und lieferantenbezogene Nachhaltigkeitsdaten (z. B. PCF/LCA, Arbeits‑/Menschenrechtskriterien).
Implikationen:
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Datenanforderungen in Vergaben/Supplier‑Onboarding hinterlegen.
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„Pragmatische“ Übergangskennzahlen nutzen (z. B. Proxy‑PCF, Zertifikate) und Roadmaps vereinbaren.
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Einkaufs‑KPIs um ESG‑Kennzahlen erweitern (Abdeckung, Datenqualität, Verbesserungspfade).
Quick‑Check: Haben wir eine ESG‑Anlage zu AEB/Verträgen? Wie hoch ist die Lieferanten‑Datenabdeckung je Warengruppe?
6) EUDR erreicht den Einkauf indirekt – Fokus Naturkautschuk & Papier
Was passiert: Die EU‑Entwaldungsverordnung adressiert Rohstoffe wie Naturkautschuk (relevant u. a. für medizinische Handschuhe) und Holz/Papier. Hersteller/Importeure brauchen Sorgfalts‑/Rückverfolgbarkeitsnachweise – Kliniken fragen diese zunehmend ab.
Implikationen:
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Bei betroffenen Produktgruppen EUDR‑Konformitätsnachweise in Vergaben verlangen.
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Lieferketten‑Transparenz (Plantagen/Chargen) und Auditpfade dokumentieren lassen.
Quick‑Check: EUDR‑Klausel in Handschuh‑, Papier‑ und Verpackungsvergaben? Lieferantenfähigkeit zur Geo‑Validierung (Koordinaten) geprüft?
7) Resilienz vor Preis – Engpassmanagement wird Standardprozess
Was passiert: Anhaltende Arzneimittel‑ und Materialengpässe erzwingen Alternativenmanagement (Substitution, Dual‑Sourcing), Bestandsstrategien und engere Partnerdialoge.
Implikationen:
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Frühwarn‑Signale (z. B. Hersteller‑Meldungen) in SRM/ERP integrieren.
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Rahmenverträge mit Substitutionskorridoren, Eskalations‑SLA und Strafkatalogen.
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Cross‑funktionale Engpass‑Boards mit Klinik, Apotheke, Einkauf, Logistik.
Quick‑Check: Gibt es ein zentrales Engpass‑Dashboard? Substitutionslisten/Äquivalenztabellen gepflegt?
8) KI‑Co‑Piloten beschleunigen S2C & P2P – aber mit Guardrails
Was passiert: Generative KI und ML kommen in Ausschreibungstexten, Vertrags‑/Rechnungsprüfung, Spend‑Analysen, Risikoscoring und Bedarfsvorhersagen zuerst als Assistenz, zunehmend integriert in Suites.
Implikationen:
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„Human‑in‑the‑Loop“‑Prozesse und Prüfpfade definieren.
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Trainingsdaten (Verträge, Leistungsverzeichnisse) strukturieren; Rollen‑/Rechtekonzepte.
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Nutzenfälle priorisieren (z. B. 80/20‑Automatisierung der Routine), Wirkung messen.
Quick‑Check: Pilotfälle live? Fehlerraten/False‑Positive‑Quoten und Einsparungen messen?
9) GPO‑Konsolidierung & Partnerschaften verändern die Spielregeln
Was passiert: Kooperationen/Fusionen unter Einkaufsgemeinschaften (EKK+, AGKAMED u. a.) sowie strategische Industriepartnerschaften erhöhen Bündelungs‑ und Datenmacht.
Implikationen:
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Preis‑/Konditionsmodelle, Service‑Levels und Datenzugänge neu verhandeln.
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Daten‑/Benchmark‑Sharing, gemeinsame SRM‑Programme und Standardisierungen (z. B. UDI/ESG‑Anforderungen) etablieren.
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Frühzeitig Governance/Vertretungsrechte in Verbünden klären.
Quick‑Check: Welche GPO‑Beziehungen verändern 2025 unsere Einkaufsstrategie? Welche gemeinsamen Datenstandards/ESG‑Anhänge nutzen wir bereits?
10) SRM & Supplier Development werden zum Kernprozess
Was passiert: Vom reinen Preisfokus hin zu systematischer Lieferantenentwicklung (Qualität, ESG, Security, Innovation). Kliniken definieren Preferred‑Supplier‑Pools, Scorecards und Jahresziele.
Implikationen:
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Einheitliche Lieferanten‑Scorecards (Qualität, Liefertreue, ESG, Security, Innovationsbeiträge).
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Regelmäßige QBRs (Quarterly Business Reviews) mit Maßnahmenplänen.
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Anreizmodelle (Bonus/Malus) und „Early Supplier Involvement“ bei Innovationen.
Quick‑Check: Haben wir Top‑50‑Lieferanten mit Zielbild 2025? Existiert ein abgestimmtes Eskalations‑ und Verbesserungsprogramm?
Kernaussagen - Prioritäten 2025 (am häufigsten genannt):
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Einführung/Skalierung E‑Rechnung & P2P‑Automatisierung (inkl. Lieferanten‑Onboarding).
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Stammdaten‑Exzellenz (UDI/EUDAMED‑Readiness, GDSN‑Anbindung, Katalogqualität).
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Resilienz & Engpassmanagement (Dual‑Sourcing, Substitution, Monitoring).
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Compliance‑Integration (NIS2‑Sicherheitsanforderungen, EUDR‑Nachweise, ESG‑Anhänge in Verträgen).
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Rollenwandel (mehr Strategie & SRM, weniger operativ dank KI/RPA).
Top‑Herausforderungen:
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Ressourcenmangel (FTE, Zeit) für Daten‑/IT‑Umstellungen.
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Lieferantenfähigkeit (EDI/PEPPOL/UDI/ESG‑Daten reifen ungleichmäßig).
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IT‑Fragmentierung (ERP‑, KIS‑, PIM‑, SRM‑Insellösungen; fehlende Schnittstellen/Standards).
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Rechtliche Unsicherheit (Zeitpläne/Detailvorgaben bei NIS2/EUDAMED/CSRD/EUDR).
Was bereits gut funktioniert:
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Erste E‑Rechnung‑Pilotläufe und zentrale Posteingänge für strukturierte Rechnungen.
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Engpass‑Boards mit Klinik/Apotheke/Logistik und definierter Substitution.
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Warengruppen‑Teams mit Klinikexpert:innen; bessere Bedarfsspezifikation.
Wo Unterstützungsbedarf besteht:
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Vorlagen/Bibliotheken (Vergabe‑/Vertragsklauseln zu NIS2, ESG, EUDR).
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Daten‑Connectors (GDSN, PEPPOL, EDI) und Data‑Quality‑Regeln.
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Change‑Management (Rollen, Schulungen, Governance, KPI‑Systeme).
Personas & Bedürfnisse im Einkauf (Kurzprofil)
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Leitung Einkauf (Verbund/Klinik): Steuerung, Verhandlung, Governance; braucht KPI‑Cockpit, Benchmarking, Risiko‑Radar.
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Warengruppenmanager:in: Markt/Portfolio/Standards; benötigt Preis‑ & Lieferanten‑Insights, UDI/ESG‑Daten, Alternativenlisten.
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Operative Beschaffung: P2P‑Automatisierung, E‑Rechnung, Kataloge; wünscht No‑Touch‑Prozesse, klare Regeln.
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Stammdaten/IT: Datenmodell/Integrationen; braucht klare Ownership, Validierungsregeln, Konnektoren.
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Klinikfachbereiche/Apotheke: Ergebnisqualität & Verfügbarkeit; benötigen Substitutionspfade, QBR‑Einbindung.
90‑Tage‑Playbook (Start sofort)
1) Compliance‑&‑Prozess‑Basics
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E‑Rechnung: Empfang/Verarbeitung live schalten; Lieferantenbrief & Testslots.
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NIS2: TPRM‑Kurzcheck (Security‑Mindeststandards in AEB).
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EUDR: Handschuhe/Papier im Einkauf kennzeichnen; Nachweise anfordern.
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EUDAMED/UDI: Pflichtfelder + Validierungen in Materialstämmen aktivieren.
2) Datenfundament
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GLN, UDI, Hersteller‑IDs, Steuer‑/Bankdaten bereinigen (Top‑500 Artikel/Lieferanten).
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Data‑Steward‑Rollen & Data‑Quality‑KPIs (Vollständigkeit, Aktualität, EDI‑Quote).
3) SRM‑Kickstart
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Top‑50‑Lieferanten: Scorecards, QBR‑Kalender, Maßnahmenpläne.
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Engpass‑Dashboard: Frühwarnquellen (z. B. Hersteller/BfArM) integrieren.
4) KI‑Use‑Cases
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Ausschreibungstexte/Losbildung (Assistenz), Rechnungs‑/Vertragsprüfung (Anomalien), Spend‑Cluster.
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Guardrails: Vier‑Augen‑Prinzip, Protokollierung, Trainingsdatenschutz.
KPI‑Set 2025 (Auswahl)
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P2P: E‑Rechnungsquote (%), Dunkelbuchungsquote, Durchlaufzeit Rechnung (Median), Skonto‑Nutzung.
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Stammdaten: UDI‑Abdeckung (% Top‑Artikel), Datenfehler‑Rate, GDSN/PEPPOL‑Anteil.
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SRM: On‑Time‑Delivery, Reklamationsquote, ESG‑Datenabdeckung, Security‑Konformität (NIS2‑Screenings).
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Resilienz: Engpass‑Vorfälle/Monat, Zeit bis Substitution, Dual‑Sourcing‑Abdeckung.
Reifegradmodell Einkauf 2025 (Stufen 1–4)
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Manuell: Papier/PDF, reaktive Ad‑hoc‑Beschaffung.
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Digitalisiert: E‑Rechnung aktiv, Grund‑EDI, erste Scorecards.
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Integriert: GDSN/PEPPOL‑Anbindungen, SRM‑Programm, NIS2/EUDR/ESG in Verträgen.
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Orchestriert: KI‑Assistenz end‑to‑end, Outcome‑KPIs, partnerübergreifende Datenräume.
Risiken & Stolpersteine
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Überschätzung der Lieferanten‑Readiness; fehlende Testfenster & Support.
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Unklare Daten‑Ownership; parallele Schattenlisten.
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„KI ohne Prozess“: Automatisierung ohne Governance erzeugt neue Fehler.
Ausblick 2026
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EUDAMED‑Module werden schrittweise verpflichtend; UDI wird zum Standard in Katalogen und Klinikprozessen.
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NIS2‑Regelungen führen zu vermehrten Security‑Audits und Vertragsnachschärfungen.
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EUDR‑Nachweise werden in betroffenen Warengruppen Normalfall.
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Outcome‑basierte Beschaffung (Qualität/Patientenpfade) gewinnt an Bedeutung – Einkauf als Versorgungsarchitekt.